R. Levy: Die schweizerische Sozialstruktur

Cover
Titel
Die schweizerische Sozialstruktur.


Autor(en)
Levy, René
Reihe
Reihe Kompaktwissen CH 9
Erschienen
Zürich 2009: Rüegger Verlag
Anzahl Seiten
163 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Georg Kreis

1982 erstmals bei Pro Helvetia erschienen, hat nun dieser kleine, jedoch dichte Band zur schweizerischen Sozialstruktur eine höchst willkommene aktualisierte Neuauflage erfahren. Die datenreiche Zusammenstellung des Lausanner Soziologen ist auch für Historiker/innen von grösster Nützlichkeit. Der vor allem auf die Gegenwart ausgerichtete Vf. rechtfertigt seine häufigen Bezüge in die etwas tiefere Geschichte mit der Feststellung, dass es bisher noch keine soziologisch inspirierte Geschichte der Schweiz gebe. Umgekehrt hat sich inzwischen aber die Geschichte stark sozialwissenschaftlichen Fragestellungen zugewandt, so dass man sich in dieser Publikation recht gut zu Hause fühlt. Allgemeinere Bezüge greifen ins 18./19. Jh. zurück, manche nehmen die stets differenzierter werdenden und mit Grafiken visualisierten Datenreihen ab 1900 auf, viele setzen mit 1945 ein.

Die klar strukturierte Darstellung unternimmt eine Vermessung des «sozialen Raums» Schweiz entlang verschiedener Fragestellungen: Wie lebt man in der Schweiz, wie sind die Lebensbedingungen organisiert, welche Position nimmt die Schweiz im globalen Raum ein? Die letzte, den Aussenbeziehungen geltende Frage hat im Vergleich mit der vorangegangenen Ausgabe nicht zufällig an Bedeutung gewonnen. Hier unterscheidet er neuerdings fünf Regionen: die EU und die übrige OECD, die zusammen den postindustrialisierten Nordwesten bilden, am einen Ende des Skala, den Süden am anderen und dazwischen die aus der Dritten Welt aufgestiegenen Schwellenländer sowie den ehemaligen Osten (S. 16). Der Blick in den innergesellschaftlichen Raum ist ebenfalls auf Differenz gerichtet: auf Unterschiedlichkeit bezüglich Alter und Geschlecht, Zugang zu gemeinsamen Gütern, politischer Macht, etc. Der Vf. thematisiert nicht speziell die Beschleunigung des sozialen Wandels, diese scheint ihm eine Selbstverständlichkeit zu sein. Er bemerkt dazu aber, dass sich seinetwegen die Welten der nachwachsenden und der vorangegangenen Generationen stets weniger gleichen und lebensgeschichtliche Erfahrung früherer Generationen entsprechend weniger berücksichtigt werden können (S. 66).

Systematische Vergleiche mit anderen Gesellschaften werden verständlicherweise nicht auch noch angestellt. Bezüglich der politischen Qualität der schweizerischen Gesellschaft kommt Levy zum Schluss, dass die politische Mobilisierung in der Schweiz nicht häufiger sei «als anderswo», die Mehrheit sei politisch ebenso wenig engagiert wie in anderen europäischen Ländern und habe Wünsche, die in erster Linie den Erfolg, die Konsummöglichkeiten und die Privatsphäre betreffen. Das Besondere des nur beschränkt als Sonderfall zu verstehenden Landes bestehe darin, dass die politisch aktiven Bürger und Bürgerinnen, auch wenn ihre Zahl verhältnismässig bescheiden ist, eine interessante «Quelle sozialen und politischen Wandels» darstellen (S. 148). Levy beschreibt die politische Hierarchie dieses erzdemokratischen Landes als «steile Pyramide» mit breiter Basis und schmaler Spitze – mithin so etwas wie ein Matterhorn. Die politische Elite beziffert er auf rund 300 Personen, von denen ein grosser Teil mächtige Organisationen und Verbände vertritt. Nach neuesten Schätzungen seien nicht mehr als 2% aller Stimmberechtigten Mitglied eines lokalen, regionalen oder nationalen politischen Gremiums (S. 57). Am unteren Extrem der politischen Statusleiter sind die Ausländer/innen anzusiedeln, die doch eigentlich auch zur Schweiz gehören. Noch tiefer seien nur die illegalen Einwanderer einzustufen, die sich – im besten Fall – auf die allgemeinen Menschenrechte berufen könnten.

Zitierweise:
Georg Kreis: Rezension zu: René Levy: Die schweizerische Sozialstruktur. Zürich/Chur, Verlag Rüegger, 2009. Reihe Kompaktwissen CH, Bd. 9. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 59 Nr. 4, 2009, S. 467-468.

Redaktion
Autor(en)
Beiträger
Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 59 Nr. 4, 2009, S. 467-468.

Weitere Informationen